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CLONMACNOISE. AM UFER DES SHANNON.

Wir werden wohl nichts mehr bekommen, zu so später Stunde!“, sagte sie, neben mir sitzend auf dem Beifahrersitz, vor sich auf dem Schoß den Reiseführer mit Karte.

Ich nickte und fuhr weiter, während es draussen zunehmend dämmerte und dunkel wurde.

Wir fuhren die irische Landstraße entlang, umgeben von all den grünen Hügeln, wie sie auf jeder Postkarte mit dem Aufdruck „Greetings from Ireland“ zu sehen sind.

Seit einer Woche waren wir nun unterwegs, zunächst im Süden, und nun in der Mitte der grünen Insel, ohne festen Plan, von Tag zu Tag uns neue Ziele suchend, von Nacht zu Nacht in Betten liegend, die wir im Angebot „Bed & Breakfast“ fanden, preiswert und erschwinglich für uns Studenten, ungebunden also für drei Wochen mit Auto und wenig Gepäck unterwegs.

Was soll'n wir tun?“, fragte ich, denn allen Straßenschildern und Wegweisern entnahm ich, dass eine größere Ortschaft, ein Dorf oder Städtchen, die uns noch ein „B&B“ bieten würden, nicht in Sicht war. Zumal die Regel darin bestand, zu später Abendstunde nicht mehr mit einer Zimmeranfrage unvermittelt vor der Tür zu stehen.

Wir hielten an und schauten gemeinsam auf die Karte, mittlerweile schon mit eingeschalteter Innenbeleuchtung im kleinen Polo, denn das Tageslicht reichte nicht mehr.

 

Unser Blick fiel auf eine Sehenswürdigkeit, ungefähr 20 Meilen entfernt, eine alte Klosteranlage mit dem Namen Clonmacnoise.

In uns reifte der Gedanke, dass wir nun zum ersten Mal auf dieser Reise wohl im Auto übernachten würden, Schlafsäcke hatten wir ja, ein bisschen Proviant auch.

Aber wo? Einfach so am Straßenrand, irgendwo in Feld, Wald und Wiese?

Lass uns doch hinfahren zu dieser Klosteranlage“, sagte ich, „dann sehen wir weiter“.

Und so fuhren wir hin, an diesem Abend, über den sich nun schon das Dunkel der kommenden Nacht gelegt hatte.

Ich orientierte mich an den Schildern, mit all den irischen Sprachrätseln, die sie boten – Moyvoughly, Ballynahown, Clonfanlough … Dann kam das Schild, das uns den Weg zur Klosteranlage wies, im Scheinwerferlicht unserer Suchbewegungen nach nach links und rechts.

 

Wir fuhren auf einen Parkplatz, der gänzlich leer und unbeparkt war, zu mittlerweile vorgerückter Stunde

Kein Mensch weit und breit, kein Haus in Sicht, nur wir – mitten in Irland – ins Dunkel und in die Stille gehüllt, mit den Umrissen der alten Klosteranlage vor Augen.

Wir verständigten uns darauf, hier zu übernachten, und dann am kommenden Morgen weiterzusehen.

Nach allem, was wir beim Blick aus dem Auto erkennen konnten, war die Anlage nicht weiter ummauert oder eintrittsmäßig versperrt.

Also stiegen wir aus, nahmen zwei Taschenlampen mit, und unsere kleinen Rucksäcke.

Neugierig gingen wir auf die Anlage zu und lasen in unserem Reiseführer, dass die Geschichte dieses Ortes bis ins 6. Jahrhundert zurückreicht.

 

Minuten später gingen wir nun – uhrzeitlich Richtung Mitternacht, unter dem dunklen, sternenklaren Himmel – durch die Klosteranlage mit ihren zerfallenen Mauern, Ruinen, Gedenk- steinen, Grabstätten und keltischen Kreuzen.

Das Ganze war magisch, filmreif, und ich schwöre – es war vollmondig in dieser Nacht.

Um dem Ganzen noch einen letzten 'Kick' zu geben, mit dem festen Willen, das alles wie mit einer inneren Kamera zu speichern, zog ich meinen mitgenommenen Walkman aus dem Rucksack, stöpselte den Kopfhörer ein und setzte ihn auf … und die Casette, die ich dabei hatte und auflegte, war GENESIS, mit ihrem gleichnamigen Album aus dem Jahr 1983.

Die ersten Takte, das erste Stück – es hiess „Mama“ - und wer es kennt, vielleicht noch im Ohr hat, kann verstehen: Es gab wohl in diesem Augenblick, an diesem Ort, in dieser magischen Atmosphäre zwischen den keltischen Grabkreuzen kein perfekteres Stück, als dieses Musikstück mit dieser sich steigernden musikalischen Spannung, dem gespenstisch wirkenden Takt und Keyboardsound, und der Stimme von Phil Collins, die sich an einigen Stellen in dieses dämonische Lachen hineinfallen lässt …

Schon damals – völlig gebannt und hineingebeamt wie in einen Film – dachte ich: Das glaubt Dir keiner, wenn Du es erzählst, und schwörst, dass es genauso gewesen ist.

 

Aber es kam noch besser:

In diese Szene hinein und vom Mondlicht beschienen, tauchte plötzlich aus der dunklen Umrandung der Bäume und Büsche, eine dunkle Gestalt auf und ging langsam ihres Weges, mich nicht sehend und bemerkend … eine alte Frau, mit Kopftuch und gebeugt, mit einem Korb im Arm … langsam ging sie über den Friedhof und verschwand wieder auf der anderen Seite im Dunkel eines Gebüsches.

Phil Collins hatte ausgesungen, und meine Nerven waren bis zum Anschlag bedient.

Als ich aufstand und aus dieser filmreifen Szene aussteigen wollte, sah ich kurz danach im Blickwinkel, dass zwischen den Bäumen, durch die die Frau verschwunden war, ein Licht anging und ein kleines Fenster sich erleuchtete.

Das Haus wohl, in dem das alte Weib, wohnte.

Die – so legte es mein Märchengedächtnis mir nahe – in der Nacht ihre Heil- oder Hexenkräuter gesammelt hatte.

 

Eine halbe Stunde später waren wir wieder im Auto, allein auf dem Parkplatz, in den Schlafsack gehüllt und mehr oder weniger unbequem, mit zurückgeklapptem Sitz, den Schlaf suchend.

Müdigkeit überkam uns.

Aber das sollte noch nicht alles gewesen sein.

Ich schreckte irgendwann, weit nach Mitternacht, aus dem Schlaf hoch, als ich merkte, dass irgend etwas sich unserem Parkplatz näherte. Ich nahm es erst im Unterbewussten wahr, kam dann in die bewusstere Wahrnehmung, hörte das Knirschen und Herankommen von irgendetwas, irgendwem, hier, wo wir zur Nacht mutterseelenallein waren.

Licht schwenkte in unsere Richung, wie von einer Taschenlampe, und fiel durchs Rückfenster des Polo direkt in unser Auto.

Das gespenstische Szenario zwischen den Grabsteinen zuvor, verdichtete sich in mir zur panischen Angst vor einem Überfall mit ungewissem Ausgang, in den kommenden Tagen eine Zeitungsmeldung wert: „Zwei deutsche Studenten in Irland bei einem Überfall ...“ - wie immer der Satz weitergehen sollte.

 

Als dann die Türen des Autos, das mittlerweile, mit etwas Abstand, schräg hinter uns geparkt hatte, aufgingen, hörte ich Männer und Frauenstimmen, die redeten und lachten, sah ich aus der Deckung. Männer und Frauen, die redeten und lachten und in eine bestimmte Richtung gingen, bevor sie, weiterhin redend und lachend, eher amüsiert, bester Laune und wohl auch von irischem Guiness erheitert, irgendwo vor uns im Dickicht wieder verschwanden, ihre Stimmen sich immer mehr entfernten, bis es wieder still war …

 

Ich kam, fiel, versank irgendwann, irgendwie, dann doch noch und wieder in den Schlaf.

Und ein paar Stunden später, leicht gerädert, schien die Morgensonne freundlich und unschuldig auf unser Gesicht.

Wir fanden nun heraus, wo wir genau waren.

Direkt neben dem Parkplatz der Klosteranlage lag der Shannon, Irlands bekannter Fluss, mit einer Biegung und einer Bootanlegestelle.

Es war und ist bis heute möglich, seinen Urlaub auf gemieteten Booten zu verbringen, und mit ihnen den Shannon entlangzuschiffen – so wie es die nächtliche Touristengruppe, aus einem irischen Pub kommend, wohl auch auf ihrem Programm hatte.

Wir gingen bei Tageslicht nocheinmal über die Klosteranlage, aber die Magie hielt sich in Grenzen.

Dann fuhren wir weiter.

Und ich dachte nur: Wenn Du das später erzählst, glaubt Dir keiner, dass Du die Geschichte nicht ausgeschmückt und dramatisiert, wenn nicht gar erfunden hast.

Aber es war so, genau so – ich schwör's, beim Heiligen Patrick.

 


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