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BEGEGNUNG

Sie waren einander nicht fremd, auch wenn ihnen das manchmal, in bestimmten Situationen, so vorkam.

Doch diese Momente der Fremdheit wurden aufgefangen durch irgendetwas, das sie miteinander verband.

Das wussten sie.

Und das hatte letztendlich mehr Gewicht als all die Augenblicke, in denen sie einander mit Befremden anschauten, mit Verwunderung zuhörten, mit Unverständnis wahrnahmen.

Und vielleicht voneinander dachten: Hey, das bist doch nicht Du, oder?

 

Jedenfalls war es immer spannend, wenn Sie einander begegneten.

Meistens zufällig, irgendwo.

Mitten im Alltag, an beliebigen Orten, an alltäglichen Plätzen.

Plötzlich liefen sie sich über den Weg, erkannten sich schon aus der Ferne.

Oder stolperten, ganz plötzlich und unerwartet, übereinander, mit einem „Hoppla!“, „Ach Du bist's!“, „Hab garnicht erwartet, Dich hier zu treffen!“

Immer, wenn sie aufeinandertrafen, sich sahen, miteinander redeten, waren sie jedenfalls sofort in ein tiefes Gespräch verwickelt.

Oberflächliches, Belangloses, redeten sie eigentlich nie miteinander.

Immer ging ihr Gespräch gleich in die Tiefe, drehte sich um ganz persönliche Dinge.

 

Beide standen sie, wie man so sagt, sehr unterschiedlich im Leben.

Beide kamen sie, wann immer sie sich trafen, aus ihren je eigenen Lebenszusammenhängen, lebten in unterschiedlichen Welten.

Und waren wohl deshalb immer wieder beschäftigt mit der Frage, wo und wie sich die Dinge zusammentragen liessen, die sie jeweils mitbrachten – aus ihrem Leben, aus ihrer Gegenwart.

Denn das war es, was ihre Begegnungen immer wieder spannend machte.

 

Waren sie einander ähnlich?

Schwer zu sagen

Denn, was heisst schon ähnlich.

Und was verbindet, was trennt, zwei Menschen, und was verbleibt für immer in Zonen der Uneindeutigkeit zwischen uns und den Anderen?

 

Auffallend war jedenfalls eins:

Die unterschiedliche Wahrnehmungsweise der beiden voneinander.

Der Ältere konnte sich recht leicht und gut in seinen Gespächspartner hineinversetzen, wenn er erzählte, meistens jedenfalls. Ja, manchmal schien es, als betrachte er den Jüngeren wie seinen eigenen Sohn, auch wenn das ein etwas merkwürdiger Vergleich ist, der zumindest – naja – altersmäßig passt.

Der Jüngere dagegen hörte zu, staunend über das, was er hörte, erschrak hier und da, versuchte zu verstehen und zu deuten, was ihm zu Ohren kam, und spürte – immer wieder, letztendlich als Grundgefühl – so etwas wie ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit während er zuhörte.

Nein, nicht dem Älteren gegenüber.

Mehr dem Leben, oder, wenn Du so willst, Gott gegenüber, wenn es ihn denn gibt, als Adresse für all das, was uns widerfährt, im Guten und im Bösen.

 

Erst neulich trafen Sie sich wieder.

Der Ältere war gerade auf dem Weg nach Hause, mit einem Rucksack voller Bücher, die er sich ausgeliehen hatte aus der Bibliothek.

Auf dem Rückweg schaute er ins Tal hinunter, nur ein paar Minuten Fußweg waren es bis zur eigenen Haustür.

Immer, wenn er diesen Weg ging, gingen ihm die verschiedenen Stationen seines Lebens durch den Sinn, begann er zu erzählen.

Der Jüngere lief derweil an seiner Seite und hörte ihm zu.

An diesem Tag, an diesem Ort, zu dieser Stunde.

 

Er erzählte von seinen Examensängsten damals, am Ende des Studiums, von all den offenen Fragen, wohin das Leben ihn wohl führen würde, was die Zukunft ihm wohl bringe, wo es ihn hinverschlagen würde, und nahm den Jüngeren, der an seiner Seite ging und zuhörte, mit all seinem Erzählen mithinein in diese Geschichte eines Lebensweges, die die seine war.

Rückblickend und in der Erinnerung, die er nun, Station für Station, wie einen Film vor sich sah und seinem Zuhörer vor Augen malte.

Mein Lebensweg, bis heute, bis hierhin.

 

Stell Dir vor,“ sagte er plötzlich zu dem Jüngeren, „ich hätte damals in die Zukunft blicken können, und mich damals sehen können im Heute, im Hier und im Jetzt. Hätte damals sehen, zugucken können, wie mein Leben weitergeht, wohin es mich führt. Mit all den Brüchen, die dazu gehören, von denen ich niemals gedacht hätte, das sie mir passieren. Mit all dem, was neu und unvorhersehbar in mein Leben gekommen ist, und was ich heute mein 'zweites' Leben nenne, voller Dankbarkeit. Mit all den Ängsten, die unbegründet waren. All den Anstrengungen, die es zu bewältigen gab. All den Segnungen, die mich heute so dankbar sein lassen ….“

 

Den ganzen Weg über erzählte der Ältere dem Jüngeren, und der hörte ihm zu, ohne Unterbrechung.

 

Als er zu Hause die Tür aufschloss, stellte er den Rucksack mit den Büchern ab, zog Jacke und Schuhe aus, und ging in die Küche.

Er goss sich ein Glas Wasser ein, trank einen Schluck, und ging durch den Flur.

Vor dem Spiegel blieb er stehen und schaute sich an.

Schaute sich in die Augen und ins Gesicht.

Wenn ich mich damals so hätte sehen können, mit 60, mein Gott - Alter!“ grinste der Jüngere, der noch immer bei ihm war.

Wärst Du zufrieden gewesen damals?“ fragte der Ältere zurück.

Es kam – nach kurzem Zögern - ein Nicken.

Und ihre Augen waren die des jeweils Anderen.

Jetzt gerade und hier.

 


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