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DANN EBEN NICHT ODER DOCH

Mitten in seine Überlegungen hinein klingelte das Telefon.

Mitten in seine Überlegungen hinein klingelte das Telefon. Er griff zum Hörer und nahm ab: „Ja“, sagte er, noch ganz in Gedanken.

Mitten in seine Überlegungen hinein klingelte das Telefon, aber nach kurzem Zögern, kurzem Überlegen, entschloss er sich, den Hörer nicht abzunehmen und es klingeln zu lassen. Nein, er wollte jetzt allein sein, und niemanden sprechen. Am allerwenigsten sie, nach allem, was passiert war.

 

Ich bin's!“ sagte die vertraute Stimme am anderen Ende der Leitung zaghaft, „ich wollte Dir nur sagen, dass es mir sehr, sehr leid tut! Bitte, glaub mir! Ich bereue es, und wenn ich es könnte, würde ich es sofort ungeschehen machen. Bitte verzeih mir!“ … Er hörte ihr zu, hörte ihre Stimme, spürte an ihrem Klang, an der Art, wie sie es sagte, dass sie es ehrlich meinte.

 

Nachdem das Telefon ausgeklingelt hatte, und er es ausgehalten hatte, nicht dran zugehen, sprach die Stimme am anderen Ende zu sich selbst: „Dann eben nicht! Ich hab's jedenfalls versucht! Aber dann eben nicht!“ Und während sie an ihrem Weinglas nippte, sich nachschenkte, kehrte sich ihre ursprüngliche Bereitschaft um in ein trotziges „Du kannst mich mal!“

 

Er zögerte einen Augenblick, seine Verletztheit und seine Wut stiegen nocheinmal kurz und heftig in ihm hoch wie eine Welle, die sich dann aber, so heftig sie war, wieder senkte, legte, abebbte, etwas Anderem Platz machte, und er hörte sich sagen, nach einer kurzen Stille: „Ok … lass uns reden … wir müssen reden, ja?“ Und etwas, was eben noch gänzlich zerrissen war, vorbei, Vergangenheit, abgehakt, wendete sich.

 

Nachdem er nicht ans Telefon gegangen war, auch beim zweiten und dritten Versuch, saß sie in ihrer Wohnung und überlegte sich, was sie tun sollte. Sie trank den Wein, der in ihrem Glas war aus, goss es nocheinmal voll, stellte die leere Flasche beiseite … Nach einer Viertel Stunde - der Rotwein tat seine Wirkung, verstärkte ihre Gefühle von Scham, Schuld und dem Bedürfnis nach Klärung, nach Aussprache, ja bestenfalls Versöhnung - stand sie auf. Sie versuchte noch ein weiteres Mal, ihn über das Telefon zu erreichen, vergeblich, er nahm nicht ab, ging nicht dran, auch ein AB war nicht eingeschaltet. Was tun? - Und nach Sekunden des Zögerns, der Unschlüssigkeit, folgte sie einem Impuls. Sie stieg in ihre Pumps, warf sich den Mantel über, griff zum Autoschlüssel, zog die Wohnungstür hinter sich zu – und saß kurz darauf im Auto. Sie musste ihn sehen, sprechen, in dieser Nacht noch, den Weg wagen, zu ihm fahren, vor seiner Tür stehen, in der Hoffnung, dass er ihr öffnete …

 

Ok, dann bis gleich!“ sagte sie, erleichtert, mit einem Schimmer Hoffnung, dass doch noch alles irgendwie gut werden könnte, dass sie sich erklären könnte, dass er ihr verzieh … „Ok, also, ja bis in einer Stunde. Ich sitze da, wo wir immer sitzen“, sagte sie, „da sind wir ungestört. Jetzt, um diese Zeit, wird in dem Laden eh nicht mehr viel los sein!“ - Sie legten beide den Hörer auf. Und eine Stunde später sassen Sie sich gegenüber am Tisch, in ihrer Ecke bei Salvatore, hatten ihre Bestellung aufgegeben, und schauten sich an.

 

Am nächsten Tag wachte er auf, ging ins Badezimmer und stellte sich unter die Dusche. Es war gut, dachte er, dass ich nicht ans Telefon gegangen bin, nein, es war gut. Irgendwann hatte sie es ja auch aufgegeben, irgendwann war das Telefon verstummt, und klingelte nicht mehr … Er hatte sich noch durch die Fernsehkanäle gezappt und war dann ins Bett gegangen, hinein in eine unruhige Nacht. Aber wie er's auch drehte und wendete, am Morgen danach: Die Sache war durch. Und er würde ganz sicher drüber hinweggkommen, sprach er sich zu, sie vergessen, sich dem Leben neu zuwenden, auch ohne sie. Er drehte das Wasser ab, stieg aus der Dusche, und griff nach dem Handtuch. Vorbei ist vorbei ist vorbei … rotierte es in seinem Kopf, verfestigte sich in seinem Hirn, zementierte es sich in seinem Herzen. Er würde sie vergessen, ja das würde er.

 

Sie hatte das entgegenkommende Fahrzeug nicht gesehen, musste sich eh konzentrieren in der Dunkelheit, spielte – während die Scheibenwischer vor ihren Augen dem Regen wehrten – alle Möglichkeiten in ihrem Kopf durch … Würde sie sehen, das bei ihm noch das Licht brennt? Würde er dasein, ihr aufmachen, sie reinbitten, ihr die Chance geben, sich zu erklären? Würde sie andernfalls dort vor seiner Tür sitzen bleiben, die ganze Nacht, oder sich ungeklärter Dinge wieder auf den Heimweg machen?

Der Rotwein tat seine Wirkung weiterhin, angestrengt schaute sie auf die Strasse, beschleunigte unbewusst das Tempo, setzte den Blinker zum Überholen …

Es krachte fürchterlich, infernalisch, in Bruchteilen einer Sekunde drehte und wendete sich alles, der Wagen flog durch die Luft, drehte sich, eine ungeheure Druckwelle riss sie dahin, eine Explosion auseinanderfliegender Karosserieteile, ein Glasgewitter, ein Zerkrachen … Es war vorbei.

 

Am Morgen danach, rief sie ihn nocheinmal an … „Es war gut gestern Abend!“ - „Ja“, sagte er, „es war gut!“ … „Stell Dir vor, Du wärst nicht ans Telefon gegangen“, sagte sie … Und er antwortete: „Ja, ich habe auch einen Augenblick gezögert!“ … Ein Moment der Stille trat zwischen ihnen ein, aber es war nicht beklemmend … „Sehen wir uns heute Abend wieder!“, fragte sie – und er antwortete „Ja, wir werden weiterreden, ok?“

 

Ein halbes Jahr war verstrichen, das Leben war weitergegangen, und als er sie plötzlich mitten in der Stadt, völlig überraschend, auf der anderen Strassenseite erblickte, sie ihn aber nicht, löste dies keine grösseren Gefühle mehr in ihm aus. Da ging sie halt, so wie er – beide ihres Weges. Gesehen hatten sie sich seit dem Abend, wo das Telefon ins Leere hinein geklingelt hatte, und er über Nacht eine Entscheidung getroffen hatte, nicht mehr. Anfangs ging sie ihm noch nach, war noch präsent, war Objekt seiner Wut und Enttäuschung und seines Nichtverstehens … aber dann ebbte das ab. Alles blieb zurück, verblasste, relativierte sich. Vielleicht hatte er auch Fehler gemacht, egal. Das Leben ging weiter … und schon war sie auch wieder aus seinem Blick verschwunden, vorbeigelaufen auf der anderen Strassenseite, ohne dass sie sich wirklich nocheinmal begegnet waren, genötigt waren, einander gegenüberzustehen, sich ins Gesicht zu sehen. Und das sollte auch so bleiben. Zwei Menschen gingen ihre getrennten Wege, weiter ins Leben, unverbunden, jeder für sich …

 

Hast Du das nicht gewusst?“ hörte er von seinem Gegenüber.Nein“, sagte er, „ich habe es nicht gewusst!“
Auch wenn sie längst aus seinem Leben entschwunden war, ein zurückgelassenes Kapitel, eine vergangene, verblasste Episode, traf ihn die Nachricht nun doch sehr, und löste eine tiefe Beklemmung in ihm aus. „Bei einem Unfall?“ fragte er zurück, „wann denn?“
Ach, das ist schon ein paar Jahre her … Aber merkwürdig, dass Du davon nichts erfahren hast!“
Nein“, sagte er, „nach dem, was passiert war, hatten wir keinen Kontakt mehr“
Und als sie die Rechnung bezahlt hatten, aufgestanden waren, sich verabschiedeten hatten und auseinandergingen – da dachte er plötzlich an diesen Abend, wo sie wohl nocheinmal, nein mehrmals, versucht hatte, ihn am Telefon zu sprechen, was zwischen ihnen stand, zu klären.
Aber er hatte es klingeln lassen …

 

Hast Du es nicht gewusst?“ hörte sein Gegenüber ihn sagen.„Nein, woher?“ sagte der Andere mit einem Lächeln, „ich dachte, ihr wäret nicht mehr zusammen, ich hatte sowas läuten hören ...“ „Läuten hören ist gut!“, sagte er, „ja, sie hat mich angerufen, nachdem es passiert war. Und, nun ja, wir haben uns – was mir zunächst nicht leichtgefallen ist – noch getroffen, am selben Abend, bei Salvatore. Und, was soll ich sagen, es hat Zeit gebraucht. Es war nicht so einfach!“
Gückwunsch!“, sagte sein Gegenüber, und schob die Fotos von seiner, ihrer Kleinen zu ihm zurück, zurück zum frischgebackenen Vater.

 

In dem Moment summte ein Handy am Nachbarisch, aber die junge Frau machte zunächst keine Anstalten, zu reagieren. Beim zweiten Mal ging sie dran und sagte unwillig: „Was willst Du?“, mehr nicht. Und als es zum dritten Mal vibrierte , drückte sie den Anruf weg, und schaute dabei nicht sehr glücklich auf die Strasse ...

 


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